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Samstag, 13. Dezember 2025

Utopie und Alltag 3: Im Epizentrum der Glaubwürdigkeitskrise

Salvete, hochgeschätztes Publikum! Wie alle Jahre wieder schreitet die Adventszeit fast schneller voran als einem lieb ist – wenn man mal von den Kindern absieht, denen Weihnachten gar nicht schnell genug kommen kann. Es ist daher wohl nicht verwunderlich, dass dieses Wochenbriefing stark von adventlichen Themen und adventlicher Stimmung geprägt ist; im Epizentrum des Advents sind wir damit jedoch noch nicht angekommen – das ist dann vielleicht nächste Woche dran... 

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Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, warum ich dieses Bild aufgenommen habe, aber irgendwie gefällt es mir. Und deshalb verwende ich es hier als Vorschaubild: um ihm einen Zweck zu geben.

Nikolaustag in Spandau 

Seit meine Familie sich, was Gottesdienstbesuch und Mitarbeit in der Pfarrei angeht, von Tegel nach Spandau umorientiert hat, ist die Nikolausandacht in St. Joseph Siemensstadt für uns eigentlich ein fester Programmpunkt in der Vorweihnachtszeit; nur vor zwei Jahren waren wir krankheitsbedingt nicht dabei, dafür durfte ich voriges Jahr und auch schon vor drei Jahren selbst ins Kostüm des bärtigen Geschenkebringers schlüpfen. Das war durchaus eine lustige Erfahrung, aber ich hatte trotzdem nichts dagegen, dass es dieses Jahr wieder jemand anders übernahm. 

Als die Kinder morgens aufwachten und in ihren Schuhen allerlei Süßigkeiten (und je ein kleines Kuscheltier) vorfanden, zeigte sich allerdings bald, dass sie zu aufgeregt waren, um den ganzen Vormittag zu Hause zu verbringen. Also unternahmen wir erst mal einen Ausflug zum Weihnachtsmarkt in der Spandauer Altstadt. Da war's sehr stimmungsvoll: 

Die Kinder durften je zweimal mit zwei Karussells und einmal mit dem Riesenrad fahren und ihr Glück beim Entenangeln und beim Pfeilewerfen auf Luftballons versuchen, für die Erwachsenen gab's derweil Gratisproben von heißem Kirschlikör und Schnaps mit Bratapfelaroma

Zu Protokoll geben möchte ich übrigens, dass die musikalische Gestaltung dieses Weihnachtsmarkts recht eindeutig von maßvoll angejazzten säkularen Weihnachtsschlagern angloamerikanischer Herkunft ("Santa Claus is Coming to Town", "Rocking Around the Christmas Tree", "Sleigh Ride", "Let It Snow") dominiert wurde; auf durchaus erfrischende Weise aus dem Rahmen fiel dabei die Musik am Kettenkarussell; da lief u.a. 

Auf dem Weg nach St. Joseph zur Nikolausandacht kamen wir an einem Infostand der Partei Die Linke vorbei, und da wir sowieso reichlich früh dran waren, blieben wir ein Weilchen dort stehen, aßen Kuchen und tranken alkoholfreien Punsch. Danach gingen wir noch kurz in die Kirche, wo es schön ruhig war (die Andacht fand im Gemeindesaal statt), und das war auf jeden Fall hilfreich für die Kinder, um ein bisschen "runterzukommen". – Einschließlich zweier schon etwas größerer Mädchen, die als Helferlein des Nikolaus beim Einlass eine Namensliste führten, nahmen zwölf Kinder an der Nikolausfeier teil; das waren schon mal deutlich mehr gewesen, allerdings hatten wir noch am selben Vormittag festgestellt, dass der Termin der Veranstaltung nicht einmal auf der Website der Pfarrei angekündigt worden war. Darauf angesprochen, erklärte der Gemeindereferent, er kenne niemanden, der sich auf der Website über Veranstaltungstermine der Pfarrei informiere; worauf meine Liebste erwiderte: "Ja eben – es geht ja gerade darum, die zu erreichen, die man nicht kennt." Habe ich nicht eine kluge Frau? 

Der Ablauf der Veranstaltung selbst folgte im Wesentlichen einem seit Jahren etablierten Schema: Der Gemeindereferent begrüßt die Anwesenden und eröffnet die Andacht mit einem Gebet; ein paar Lieder werden gesungen; während des zweiten Liedes betritt der Nikolaus den Saal. Anschließend wird er vom Gemeindereferenten "interviewt" und erzählt in Ich-Form eine Legende aus dem Leben des populären Heiligen nach; anschließend trägt eine Lektorin einen thematisch passenden Bibeltext vor (dieses Jahr handelte es sich dabei um Lukas 6,30-35). Dann werden die anwesenden Kinder einzeln namentlich aufgerufen und erhalten je ein kleines Geschenk aus dem großen Sack des Nikolaus, ehe dieser erklärt, er müsse jetzt leider weiter, und mit einer weiteren Liedstrophe verabschiedet wird. Der Abschluss der Veranstaltung liegt dann wieder in den Händen des Gemeindereferenten, der auf Weihnachten hinweist und mit den Kindern ein Vaterunser betet, ganz zum Schluss wird ein weiteres Lied gesungen. Das ist alles nicht unbedingt große Wissenschaft, aber es funktioniert – zumindest und vorrangig für Kinder im Vorschulalter. Und den Ansatz, zwar der kindlichen Erwartungshaltung "Der Nikolaus kommt, und wir kriegen Schokolade" gerecht zu werden, zugleich aber auch eine religiöse Botschaft 'rüberzubringen, finde ich grundsätzlich lobenswert. 

Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang übrigens auch noch, dass meine Liebste auf der Hallow-App (jaaa, dieses krasse Fundamentalisten-Tool, wir hörten davon) eine Hörspielreihe für Kinder entdeckt hat, in der die Heiligen der Adventszeit vorgestellt werden. Am Montag auf der Rückfahrt von unserem wöchentlichen "Omatag" – eine Situation, in der es erfahrungsgemäß oft eine Herausforderung ist, die Kinder bei Laune zu halten – hörten wir uns die Abschnitte über die Hl. Barbara und den Anfang des Beitrags über den Hl. Nikolaus an, zu dem in den folgenden Tagen noch Fortsetzungen erschienen. Die hörten wir uns daraufhin auch an. Schöne Sache, auch wenn es mich wirklich unverhältnismäßig triggert, dass die Sprecherin permanent das weiche und das harte ch ("Ich-Laut" und "Ach-Laut") verwechselt... 


Gottesdienst-Double-Feature in Haselhorst: Advent-Edition 

Die Entscheidung, wo wir am 2. Adventssonntag zur Kirche gehen sollten, fiel nicht leicht und kam in den letzten Tagen davor noch ein paarmal leicht ins Wanken: zuerst, als der Jüngste mir erzählte, er habe in einer Krippenspielprobe für den KiTa-Gottesdienst Josef gespielt. Bei genauerem Nachfragen stellte sich allerdings heraus, dass er lediglich bei einem Durchgang der Probe für den eigentlichen Josefs-Darsteller eingesprungen war und dass nur diejenigen Kinder für die Mitwirkung am Gottesdienst eingeplant worden waren, deren Eltern ihre Teilnahme verbindlich zugesagt hatten. Und dann wurden wir am Rande der Nikolausandacht gefragt, ob wir zu dem Empfang anlässlich des Weihejubiläums des örtlichen Pfarrvikars kommen würden, der an diesem Sonntag im Anschluss an die Messe in St. Joseph Siemensstadt stattfand. Letzten Endes konnte uns aber auch das nicht davon abbringen, dem Gottesdienst-Double-Feature in Haselhorst den Vorzug zu geben. Und das erwies sich alles in allem auch als die richtige Entscheidung. 

Die Messe in St. Stephanus war vergleichsweise schwach besucht – möglicherweise deshalb, weil einige Gemeindemitglieder, die sonst hier zur Kirche gegangen wären, an diesem Sonntag St. Joseph Siemensstadt den Vorzug gaben, wegen des anschließenden Empfangs –; immerhin waren aber ungefähr sechs Erstkommunionkinder und auch ein paar Jugendliche. Zelebriert wurde die Messe von demselben Pfarrvikar, der an diesem Tag sein Weihejubiläum feierte, aber die Predigt, die er hielt, war – wie ich später via YouTube in Erfahrung brachtenicht dieselbe wie in der späteren Messe in Siemensstadt. Während er dort das Weihejubiläum zum Anlass nahm, über seine Berufung zu sprechen – ein beeindruckendes, sehr berührendes Zeugnis, bei dem er es obendrein noch fertigbrachte, auf die Lesungstexte vom Tag Bezug zu nehmen –, wandte er sich in Haselhorst zunächst an die Kinder, um ihnen den Vers "Der Wolf findet Schutz beim Lamm" (Jesaja 11,6) aus der 1. Lesung auszulegen: "Manchmal sind wir Wölfe, manchmal auch Schafe. Wenn ihr mit den Geschwistern streitet – manchmal passiert eine Ungerechtigkeit, aber manchmal sind auch wir ungerecht mit den anderen." – "Der Advent hilft, nicht der Wolf zu sein. Denn der Wolf ist einer, der sagt 'Ich ich ich ich ich'." – "Der Wolf findet Schutz beim Lamm, wenn das Lamm verzeiht, was der Wolf falsch gemacht hat. Dann wird was Neues draus. Das ist Advent: Da kommt Christus." – An die Erwachsenen gewandt, sprach er anschließend über die heilsgeschichtliche Rolle Johannes des Täufers, was ich nicht zuletzt auch deshalb interessant fand, weil davon am vorangegangenen Mittwoch beim JAM-Elterncafé (um das ich mich nicht hatte herumdrücken können) die Rede gewesen war: Da war im Zuge der gemeinsamen Lektüre des Markusevangeliums der Abschnitt über die Enthauptung des Täufers (Mk 6,14-29) drangekommen, übrigens die einzige Passage dieses Evangeliums, in der jemand anderes als Jesus im Mittelpunkt steht. Wie die Diskussion zeigte, konnten einige der Teilnehmer mit der Gestalt Johannes des Täufers nicht so recht etwas anfangen oder zumindest nicht verstehen, warum er so wichtig ist. Möglicherweise hätte die Predigt dieses Sonntags in St. Stephanus da einiges zur Klärung beitragen können; vielleicht aber auch nicht: Der Pfarrvikar betonte die priesterliche Herkunft des Täufers und führte aus, das Besondere an Johannes sei, dass er anders als noch sein Vater seine priesterliche Berufung nicht im Tempeldienst verwirklicht, sondern in der Wüste – als dem ursprünglichen Ort der Gottesbegegnung des Volkes Israel – ein missionarisches Priestertum praktiziert. (Dieser Teil der Predigt fand übrigens auch im Berufungszeugnis des Pfarrvikars in Siemensstadt erneut Verwendung.) Dieses missionarische Priestertum, so führte er weiter aus, sei aber eine Aufgabe für alle Gläubigen: "Wir alle haben diesen Dienst durch die Taufe, Propheten, Priester und Könige zu sein – das heißt, diesen Dienst des Johannes, den Menschen den Bräutigam zu zeigen." Mit Blick auf die erwachsenen Taufbewerber in der Pfarrei betonte er, die Hälfte davon sei einfach deshalb da, "weil sie einen Christen gesehen haben – weil sie einen Christen kennen, der sie zu Gott geführt hat; wo sie etwas gesehen haben, wovon sie sagen: Das möchte ich auch haben." 

Lobend zu erwähnen ist übrigens, dass unsere Kinder während der Messe gut bei der Sache waren und sich untadelig benahmen. Nach der Messe gingen wir direkt 'rüber auf die andere Straßenseite zur EFG The Rock Christuskirche – wo im Foyer Klemmbretter und Arbeitsblätter zur Predigt ausgeteilt wurden. Wenn ich so etwas sehe, pflegt mein linker Fuß nervös Richtung Ausgang zu zucken an, aber ich riss mich zusammen, sagte mir "Es ist eben ein sehr anderes Gottesdienstverständnis" und erinnerte mich daran, dass ich, wenn wir hier zum Gottesdienst gingen, von der Predigt ja ohnehin meist nicht viel mitkriegte; und das würde mir ja wohl auch diesmal gelingen. 

Zur Eröffnung wurde ein Lobpreislied katholischer Herkunft – "Wo ich auch stehe" von Albert Frey – gesungen, und ich glaube, ich war der einzige im Saal, der dazu aufstand. Ich habe es bestimmt schon nal gesagt, aber ich finde, im freikirchlichen Gottesdienst wird allgemein zu viel gesessen. Auch das hat natürlich mit dem anderen Gottesdienstverständnis zu tun, mit der Auffassung, man komme in erster Linie zu dem Zweck in die Kirche, eine Predigt anzuhören

Als ein Glücksfall erwies es sich, dass die "Kinderkirche" für die Altersgruppe der 6-11Jährigen diesmal von derjenigen Mitarbeiterin geleitet wurde, die auch beim JAM die Gesamtleitung hat und die wir daher gut kennen; da war es nicht nur kein Problem, dass ich zur Kinderkatechese mitkam, sondern sie lud ausdrücklich auch unseren Jüngsten ein, daran teilzunehmen, obwohl der ja erst vier ist. Inhaltlich ging es in der Katechese darum, die Prophezeiung aus Jesaja 7,14 – "Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben" – zu der Verkündigung des Engels Gabriel an Maria in Lukas 1,31 in Beziehung zu setzen, und gestaltet war das Ganze als Detektivspiel

Indizien sammeln, Zusammenhänge herstellen – und den Roten Faden beachten!

Das Konzept gefiel mir ausgesprochen gut, und meine Kinder waren mit großem Eifer dabei – auch der Kleene. Und zum Schluss gab's sogar Geschenke. Eigentlich handelte es sich um die Auswertung eines Gewinnspiels, an dem meine Kinder gar nicht teilgenommen hatten; wobei die Bezeichnung "Gewinnspiel" vielleicht einen etwas falschen Eindruck erweckt, es handelte sich vielmehr um eine "Challenge", für die über einen längeren Zeitraum hinweg Punkte gesammelt werden mussten – genauer erkläre ich das eventuell bei einer späteren Gelegenheit, da ich finde, so etwas könnte man in der Kinder- und Jugendarbeit in St. Joseph/St. Stephanus auch mal machen. – Wie dem auch sei: Diejenigen Kinder, die bei der besagten Challenge die meisten Punkte gemacht hatten, durften sich als erste einen Preis aussuchen, und am Ende blieben auch für meine Kinder noch Preise übrig. 

Währenddessen hörte meine Liebste sich nicht nur die Predigt an, sondern ging nach dem Gottesdienst sogar noch zum Predigtnachgespräch. Sie erzählte hinterher, in der Predigt, in der es um Fragen in Bezug auf das Leben nach dem Tod gegangen sei, habe sie eine größere Nähe zur katholischen Lehre über die Letzten Dinge festgestellt, als man es in einer evangelikalen Freikirche eigentlich hätte erwarten sollen – etwa was die Frage des persönlichen Gerichts und der Läuterung (sprich: Fegefeuer!) anging; damit nicht genug, habe der Prediger sich im Nachgespräch ausdrücklich auf die Einheitsübersetzung der Bibel berufen und den Teilnehmern diese Übersetzung empfohlen. Es geschehen erstaunliche Dinge – das sollte man wohl mal im Auge behalten... 


Weiteres vom Abenteuer christliche Kindererziehung 

Am Mittwoch hatte meine Liebste ihre Kollegiums-Weihnachtsfeier, daher musste ich allein mit den Kindern zum JAM. Im Vorfeld war davon die Rede gewesen, dass eventuell wieder einmal eine Schulfreundin unseres Tochterkindes zum JAM mitkommen würde; dann entschied sie sich aber doch dagegen. Beim Bastelangebot im Rahmen der Ankunftsphase wurden diesmal Krippen aus Eisstielen hergestellt, und unsere Große baute gleich zwei – eine davon als Geschenk für ihre Freundin, die nicht mitgekommen war. 

Da meine Liebste, wie gesagt, nicht dabei war, verdonnerte unser Jüngster mich dazu, zum katechetischen Teil mit ihm nach oben zu den "Minis" zu gehen statt ins Elterncafé – wogegen ich wenig einzuwenden hatte. Inhaltlich ging es da um die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers und Marias Besuch bei Elisabet. Man sieht, Johannes der Täufer ist eine wichtige Figur in der diesjährigen Adventszeit. 

Am Donnerstag beim Frühstück kam die Große überraschend noch einmal auf das unlängst durchgekaute Thema Wahrsagerei zu sprechen, und zwar speziell auf das Thema "Wahrsagen aus Büchern": Sie habe sich gefragt, was wohl passieren würde, wenn man dafür die Bibel benutzte. Ich nahm das zum Anlass, ihr etwas über die Praxis des sogenannten "Bibelstechens" zu erzählen; zu Demonstrationszwecken griff ich nach einer praktischerweise gerade auf dem Tisch liegenden Taschenausgabe der alten Einheitsübersetzung, schlug sie aufs Geratewohl auf, tippte mit dem Finger auf die Seite – und da stand: 

"Der Eifer für dich verzehrt mich, / denn meine Gegner vergessen deine Worte." (Psalm 119,139) 

Echt wahr! Für ein bloßes Demonstrationsbeispiel war das ja fast schon zu gut. – Wie dem auch sei, ich bemühte mich, meiner Tochter zu erklären, diese Methode sei durchaus legitim, um daraus Anregungen, Denkanstöße, so etwas wie geistliche Orientierung zu gewinnen; aber wenn man sie als eine Form der Wahrsagerei betrachte und praktiziere, sei das eben doch wieder problematisch. Meine Große bewies mir daraufhin, dass sie mich verstanden hatte, indem sie anmerkte: "Klar, wenn man zufällig die Stelle erwischt, wo David Goliat besiegt, kann man ja auch nicht einfach losgehen und den größten Menschen, den man kennt, totschlagen." Kluges Kind, nicht? 


Neues aus Synodalien: Bischöfe von der traurigen Gestalt 

Im Erzbistum Paderborn haben die Gläubigen zum Advent von ihrem Erzbischof nicht wie ehedem einen Hirtenbrief erhalten, sondern ein "Wort des Erzbischofs", in dem es um Fragen der Bistumsreform geht – und wer mit dem Sprachgebrauch unserer Tage vertraut ist, der weiß oder ahnt, dass mit diesem Begriff nicht, wie man ja theoretisch hoffen könnte, das Bemühen um eine geistliche Erneuerung gemeint ist, sondern eine Sanierung von Strukturen, die auf Rationalisierung durch Verwaltungszentralisation und Standortschließungen hinausläuft. Doppelt ärgerlich ist es da natürlich, wenn diesen Rationalisierungsmaßnahmen auf Biegen und Brechen eine geistliche Qualität zugeschrieben werden soll. Aus Berlin kennen wir das schon seit Jahren, nun ist es auch in Paderborn soweit. Aufmerksam geworden bin ich darauf durch einen außerordentlich kraftvollen Text von Peter Winnemöller, der am "Wort des Erzbischofs" kein gutes Haar lässt. Da heißt es unter anderem: 

"Selbst nach dreimaliger Lektüre bleibt der Eindruck einer entsetzlichen Leere. Der Erzbischof hat mir nichts zu sagen. Er hat kein Evangelium zu verkünden. Der Advent ist das Warten auf den Niedergang." 

Ernüchternd ist das alles natürlich nicht zuletzt deshalb, weil, wie ich mich noch recht gut erinnere, vor zwei Jahren, als der bisherige Mainzer Weihbischof Bentz zum Erzbischof von Paderborn ernannt wurde, einige Gläubige damit die Hoffnung verbanden, mit ihm würde im Erzbistum manches wenigstens tendenziell besser werden. Und nun ist er, wie Peter Winnemöller schreibt, als "Reisender in Sachen Bistumsreform" unterwegs: "Wäre er Staubsaugervertreter, hätte ich ihm bis dato nicht einmal einen Staubsaugerbeutel abgekauft, von einem neuen Gerät ganz abgesehen." Das hier gewählte Bild erinnert an ein berühmtes Wahlkampfplakat aus dem Jahr 1960, das ein unvorteilhaftes Foto des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon mit dem Satz "Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?" kombinierte. – Ich betone zwar immer wieder gern, Bischöfe seien keine Politiker und sollten auch nicht wie solche agieren, aber mindestens eines haben sie doch mit Politikern gemeinsam: Es kommt nicht nur darauf an, welche Positionen sie vertreten, sondern auch darauf, wie glaubwürdig sie dabei wirken. Und in dieser Hinsicht macht ein großer Teil unseres Episkopats, gelinde gesagt, keine besonders glückliche Figur. 

Zum Nachfolger von Udo Bentz als Weihbischof im Bistum Mainz hat Papst Leo jetzt übrigens den aus Indien stammenden Ordenspriester Joshy George Pottackal OCarm ernannt. Dass ein gebürtiger Inder in Deutschland Bischof wird, ist ein Novum mindestens der neueren Kirchengeschichte, daher verwundert es nicht, dass diese Personalie allerlei Aufmerksamkeit auf sich zieht. Als ich auf der Facebook-Seite des Bistums Limburg das wie üblich grinsende Konterfei des dortigen Bischofs Bätzing sah, garniert mit der Aussage, er freue sich über die Ernennung des neuen Weihbischofs im Nachbarbistum, konnte ich es mir nicht verkneifen, zu kommentieren: "Ich finde ja, man sollte den Mann nicht schon öffentlich beschädigen, bevor er sein Amt auch nur angetreten hat." Das provozierte natürlich irritierte Nachfragen, woraufhin ich erläuterte, von Bätzing gelobt zu werden "dürfte so ziemlich das Schlimmste sein, was einem Bischof passieren kann". – Den Widerspruch, den ich darauf ernetete, fand ich in seiner Vehemenz überraschend: 

"Bätzing ist mutig, schwimmt gegen den Strom, macht sich stark für die Ausgegrenzten und Diskriminierten. Rampenlicht und Beifall aus Rom interessieren ihn nicht. Das alles ehrt ihn." 

Also, da halte ich es ja mit Luke Skywalker:

Im Ernst: Mir ist durchaus klar, dass Leute, die die Agenda des Synodalen Weges – oder anders ausgedrückt: die Dekonstruktion von Amt und Sakrament und die Unterwerfung der christlichen Anthropologie unter das Diktat der Gender-Ideologie – gut und richtig finden, das Wirken von Bischof Bätzing, gerade auch in seiner Funktion als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, anders beurteilen als ich. Aber ich hätte doch gedacht, auch diese Menschen müssten wahrnehmen, dass Bätzing beim Vertreten der Positionen, die er nun mal vertritt, eine eher klägliche Figur macht, und würden ihn daher eher unter dem Gesichtspunkt "Einen besseren haben wir nun mal nicht" unterstützen, als dass sie ihn wirklich für genau den richtigen Mann auf seinem Posten hielten. Tja, war wohl ein Irrtum. 

Und was sagt derweil der Bischof von Mainz, Peter Kohlgraf, zu "seinem" neuen Weihbischof? "In der Weltkirche ist niemand fremd", erklärte er mit Blick auf Pottackals Herkunft – was einen Kommentator auf Facebook zu der recht hellsichtigen Bemerkung veranlasste: "Wer die Herkunft zum Thema macht, meint wohl selbst, die Herkunft sei ein Thema." Irgendwie muss ich dabei unwillkürlich an Formulierungen in Arbeitszeugnissen denken, die für den unbefangenen Betrachter positiv aussehen, in Wirklichkeit aber das Gegenteil bedeuten. Und genau diesen Eindruck einer gewissen Diskrepanz zwischen dem Wortlaut seiner Aussagen und dem, was er in Wirklichkeit damit sagen will, habe ich bei Bischof Kohlgraf öfter. Das ging mir schon bei seiner Stellungnahme zur "Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung" (KMU) von 2023 so, und jüngst wieder mit seiner Predigt zum Hochfest Mariä Empfängnis. Diese Predigt würde grundsätzlich wohl eine detailliertere Auseinandersetzung verdienen, nicht zuletzt unter dem Aspekt, dass sie durchaus Aussagen enthält, die ich als im Prinzip richtig oder zumindest potentiell richtig einordnen würde; vielleicht komme darauf an anderer Stelle noch zurück. Hier und jetzt möchte ich mich auf die Feststellung beschränken, dass der Bischof von Mainz in dieser Predigt einen zugleich beleidigten und defensiven Eindruck macht – was mir vielleicht deshalb besonders auffällt, weil ich diesen Tonfall vom Pfarrer von St. Klara Reinickendorf-Süd so gut kenne. Wenn Bischof Kohlgraf den angeblich "immer wieder" gegen ihn "und andere Bischöfe in Deutschland" erhobenen Vorwurf, "dass wir nicht mehr katholisch seien", vollmundig als "Unsinn" zurückweist, ist das im Wesentlichen ein Strohmannargument, mit dem er einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem eigentlich gemeinten Vorwurf ausweicht, einige Bischöfe verträten – gerade im Zusammenhang mit den Beschlüssen des Synodalen WegesPositionen, die nicht im Einklang mit der katholischen Lehre stehen. Die Vermeidung einer Auseinandersetzung mit dieser Kritik setzt sich fort in dem wohl meistzitierten Satz aus dieser Predigt: 

"Katholisch ist nicht der, der den anderen die Glaubenswahrheiten und die Morallehre wie einen Lappen um die Ohren haut, sondern der versucht, den anderen Menschen zu verstehen." 

Nicht inhaltliche Positionen werden hier als das Kriterium des Katholischen ausgemacht, sondern die Haltung, mit der man diese vertritt. Eine treffende Erwiderung darauf hat die Initiative Maria 1.0 auf Facebook und Instagram veröffentlicht: 

"Nicht um die Ohren schlagen… ja, gut. Franz von Sales sagt, man solle die bittere Medizin mit einem Löffel Honig verabreichen. Aber man darf die Medizin auch nicht weglassen und nur den Honig verabreichen." 

In derselben Stellungnahme weist Maria 1.0 auch darauf hin, dass Bischof Kohlgraf in seiner Predigt ja sehr wohl bekräftige, "dass es eine unveränderliche Wahrheit gibt". Dennoch scheint er jene, die sich um die Treue der Kirche zu dieser ewigen Wahrheit sorgen und dabei womöglich mal übers Ziel hinausschießen, als das größere Problem zu betrachten als die, die diese ewige Wahrheit leugnen, über Bord werfen wollen oder schlicht ignorieren. – Ich bin geneigt, die Grundhaltung dieser Predigt als ein Buhlen um Beifall von der falschen Seite zu bezeichnen; und das ist eine Haltung, die man an Vertretern der kirchlichen Hierarchie (nicht nur) hierzulande immer öfter beobachten kann. Man wird wohl einräumen müssen, dass dies eine Versuchung ist, der auch solche Amtsträger unterliegen können, die eigentlich gute Absichten haben – denen aber ein durch und durch verweltlichter institutioneller Apparat im Nacken sitzt, ohne den sie nicht arbeiten können und gegen ihn erst recht nicht. 

Vom Gesamteindruck her erinnert mich das übrigens an etwas, worüber ich schon seit Jahren mal bloggen wollte, aber bisher nie so richtig den Dreh gekriegt habe: Man könnte sicherlich eine Menge über die Unterwanderung des institutionellen Apparats der Kirche durch die 68er-Bewegung (Stichwort: "Langer Marsch durch die Institutionen") sagen, aber immer öfter habe ich den Eindruck, das Hauptproblem ist, dass aus dem Spektrum dessen, was man mit "68" assoziiert, vorrangig die Laschen und die Lauen, die Spießer und die Langweiler in den kirchlichen Institutionen gelandet sind. Wenn sie ein bisschen mehr Mumm, mehr Feuer und mehr missionarischen Eifer gehabt hätten, wären diese Leute zur RAF gegangen oder hätten wenigstens ein Haus besetzt, statt Pastoralreferenten zu werden oder sich in den Pfarrgemeinderat wählen zu lassen. – Das ist jetzt natürlich etwas überspitzt formuliert, aber einen wahren Kern hat es doch, davon bin ich überzeugt. Deshalb ist es auch alles andere als zufällig, dass der deutsche Verbands- und Gremienkatholizismus unserer Tage – ebenso wie seine evangelisch-landeskirchlichen Pendants – von allen politischen Kräften im Land gerade den Grünen am nächsten steht: Wenn es schon nicht buchstäblich dieselben Leute sind, die da wie dort den Ton angeben, stammen sie doch aus demselben Milieu, haben ähnliche Mentalitäten und eine ähnliche Geschichte. Wer Erfahrungen mit kirchlicher Gremienarbeit hat und sich aus so konträren Quellen wie Christian Y. Schmidts Joschka-Fischer-Biographie "Wir sind die Wahnsinnigen", Svende Merians "Tod des Märchenprinzen" oder der Autobiographie des Öko-Esoterik-Gurus Baldur Springmann über die Parteigründungs-(Vor-)Geschichte der Grünen beliest, wird staunen, was er da strukturell so alles wiedererkennt. Na, auch dazu vielleicht mal bei einer anderen Gelegenheit mehr. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Gott hat die eine Zeit bestimmt für Seine Verheißungen und die andere Zeit für deren Erfüllung. Die Zeit der Verheißungen reichte von den Propheten bis zu Johannes dem Täufer; von da an bis zum Ende reicht die Zeit, in der die Verheißungen erfüllt werden. Gott ist treu; Er hat sich selbst zu unserem Schuldner gemacht, nicht dadurch, dass Er von uns etwas angenommen hätte, sondern dadurch, dass Er uns so Großes versprach. Gott versprach ewiges Heil, ein seliges Leben mit den Engeln ohne Ende, ein unverwelkliches Erbe, immerwährende Herrlichkeit, das selige Schauen Seines Angesichts, das Wohnrecht in Seinem heiligen Himmel, und durch die Auferstehung der Toten versprach Er das Ende der Angst, noch einmal sterben zu müssen. Das ist gleichsam Sein endgültiges Versprechen, auf das wir uns ganz ausrichten, und wenn wir dahin gekommen sind, wollen wir nichts weiter suchen, nichts weiter erbitten. Dem Menschen hat Er die Gottheit versprochen, Sterblichen die Unsterblichkeit, Sündern die Rechtfertigung, Verworfenen die Verherrlichung. Aber den Menschen schien unmöglich, was Gott versprach, dass nämlich aus Sterblichkeit, Hinfälligkeit, Verworfenheit, Schwachheit, aus Staub und Asche Menschen werden sollen, die den Engeln gleichen.  So setzte Er einen Mittler Seiner Treue ein, nicht irgendeinen Fürsten, einen Engel oder Erzengel, sondern Seinen einzigen Sohn, um durch ebendiesen Sohn darzutun, auf welchem Weg Er uns zu dem versprochenen Ziel führen werde. Es war Gott zuwenig, Seinen Sohn zum Wegweiser zu machen; Er machte Ihn selbst zum Weg, damit Er dich beim Gehen leitet, während Er selbst einherschreitet aus eigener Kraft. So sollte also der einzige Sohn Gottes zu den Menschen kommen und den Menschen annehmen. Durch das, was Er annahm, sollte Er Mensch werden, sterben, auferstehen, in den Himmel aufsteigen, zur Rechten des Vaters sitzen und an den Völkern Seine Verheißungen erfüllen.

(Augustinus, Auslegung zu Psalm 110) 


Ohrwurm der Woche 

Simply Red: Stars 

Steht die Geschmackspolizei schon mit gezückter Dienstwaffe vor meiner Tür? Ich weiß, manche Leute würden sagen, wäre "Musik für frustrierte Hausfrauen" ein eigenes Genre, dann müsste man Simply Red zu dessen Hauptvertretern zählen. Ich selbst stehe durchaus zu der Auffassung, dass Mick Hucknall ein exzellenter Sänger ist, aber nachdem die Band zunächst vor allem mit Coverversionen von Soul-Klassikern bekannt geworden war, schlug sie in dem 90ern mit der Hinwendung zu Eigenkompositionen und einer zunehmend überkandidelten Selbstinszenierung Hucknalls als flamboyanter und zugleich tragischer Liebhaber einen Kurs ein, der oft hart am Rande der Peinlichkeit segelte. Meine persönliche Faustregel lautet: "Stars" (1991) geht noch, "Fairground" (1995) ist schon drüber. Seinen Status als Ohrwurm der Woche verdankt "Stars" dem Umstand, dass der Song neulich in der Lobby der Kampfsportschule unseres Jüngsten lief, und da fiel mir auf, dass ich eine bestimmte Textstelle immer und immer falsch verstanden hatte: "A lover's promise never came with the Navy". Okay, vielleicht eine etwas ungewöhnliche Metapher, aber für mein Empfinden doch überzeugend genug, um sie nie ernsthaft zu hinterfragen. Tatsächlich lautet der Vers aber "A lover's promise never came with a maybe". Ach so, na dann. – Übrigens finde ich, das Video weckt durchaus weihnachtliche Assoziationen: Seinem Stern folgend, zieht Mick Hucknall als Heiliger Dreikönig durch die Wüste und bringt den Hörern Gold, Weihrauch und Myrrhe mit. Oder so. 


Vorschau/Ausblick 

Heute war die dritte (und vorletzte!) Probe für das diesjährige Krippenspiel in St. Stephanus Haselhorst – allerdings aus bereits geschilderten Gründen erst die zweite, an der wir teilnahmen; davon wird im nächsten Wochenbriefing sicherlich noch die Rede sein. Am morgigen 3. Adventssonntag ist nicht nur Kinderwortgottesdienst in St. Joseph Siemensstadt (und nebenbei auch Krippensegnung), sondern zudem, am Nachmittag bis gegen Abend, der "Waldadvent" der KPE-Pfadfinder im Düppeler Forst, und ich glaube, das könnte ein ziemlich tolles Erlebnis werden. 

Und dann beginnt auch schon die letzte Schul- und Arbeitswoche vor den Weihnachtsferien! Folgerichtig ist so gut wie jeden Tag irgendwas Besonderes los, ständig findet irgendwas "zum letzten Mal vor Weihnachten" statt – z.B. JAM am Mittwoch. In der evangelischen KiTa des Jüngsten gibt's am Freitag eine Weihnachtsfeier, an der säkularen Schule des Tochterkindes dagegen offenbar nicht; aber "gewichtelt" wird da trotzdem, also müssen wir noch ein Geschenk im Wert von bis zu 5 € besorgen. Auch sonst sollten bis dahin die wesentlichen Weihnachstvorbereitungen mach Möglichkeit erledigt sein... Hoffen wir mal das Beste! 


Samstag, 6. Dezember 2025

Utopie und Alltag 2: Im Epizentrum der Vorpubertät

Adventliche Grüße, liebe Leser! Die neue Wochenbriefing-Reihe geht in die zweite Runde, und diese Ausgabe ist thematisch schon etwas breiter aufgestellt als die vorige – es wird sich zeigen, ob dieser Trend sich fortsetzt. Ebenfalls noch zeigen muss sich, ob es sich fortsetzt, dass jede Folge dieser Reihe im Epizentrum von irgendwas verortet ist. Entstanden ist die Idee ja nur daraus, dass ich es so lustig fand, dass auf biergartenguide.com der Weihenstephaner Berg als das "Epizentrum des Bieres" bezeichnet wurde. Ob ich mich aber langfristig darauf festlegen möchte, über ein ganzes Jahr hinweg jede Woche ein neues Epizentrum zu entdecken, da bin ich mir noch nicht so ganz sicher. Aber das sehen wir dann in den nächsten Wochen! 

Adventszeit ist Bastelzeit, besonders wenn man Kinder hat. Näheres zum Entstehungshintergrund dieser Kunstwerke weiter unten.

Neues von den Pfadfindern 

Die Frage, wie es mit unseren Kindern – vorläufig zumindest und vor allem mit dem Tochterkind – und der Pfadfinderei weitergeht, gewinnt allmählich eine gewisse Dringlichkeit: Ich erwähnte ja schon, dass es bei den Wölflingsmädchen des in Berlin-Schöneberg ansässigen KPE-Stammes einige "Neue" gibt; und unlängst fand sich in einer Mail der Wölflingsleiterin an die Eltern, in der die anstehenden Termine mitgeteilt wurden, ein freundliches "P.S.", in dem den Eltern der "Neuen" nahegelegt wurde, wenn ihre Kinder weiterhin regelmäßig dabei sein wollten, dann sollten sie doch mal einen Mitgliedsantrag stellen. Das Antragsformular wurde nonchalant gleich mitgeschickt; bisher haben wir es noch nicht ausgefüllt und zurückgeschickt, aber ich schätze, wir werden es tun. 

Am Samstag vor dem 1. Advent hatten die Wölflingsmädchen jedenfalls wieder ein Meutentreffen, und parallel dazu traf sich auch die Wichtelgruppe (für Kinder ab 4 Jahren); also fuhren wir da mit beiden Kindern hin. Während die Wichtel sich von vornherein in einem Raum im Pfarrhaus versammelten, begann das Wölflingstreffen stilecht im Garten; dort gab es eine Art "Krippenspiel-Schnitzeljagd", wenn man das so nennen kann: Soweit ich es anhand der Erzählungen meiner Tochter nachvollziehen konnte, ging es darum, im Gelände Bilder zu finden, die Stationen des Weihnachtsevangelium nach Lukas zeigten, und diese dann szenisch nachzustellen. Wie ich später erfuhr, gab es bei den Wichteln ein ganz ähnliches Spiel, nur eben drinnen. Anschließend wurde gebastelt, und zwar in beiden Altersstufen – wozu auch die Wölflinge nach drinnen in den Pfarrsaal gingen: Die Wichtel bastelten Krippenhäuschen aus Karton und Krippenfiguren aus Knete, die Wölflinge eher abstrakte Krippenfiguren aus Zeitungspapier (siehe Vorschaubild). 

Festzuhalten bleibt, dass beide Kinder mit Begeisterung dabei waren und sich schon aufs nächste Mal freuen; die Wichtelgruppe trifft sich allerdings nach derzeitigem Planungsstand erst im Januar wieder. Dagegen fand bei den Wölflingen schon heute wieder ein Treffen statt – anlässlich des Nikolaustags stand da das "Einüben und Durchführen einer guten Tat" auf dem Programm –, aber für heute hatten wir bereits andere Pläne (mehr dazu unter "Vorschau/Ausblick"). Auf jeden Fall wollen wir aber – mit der ganzen Familie – am übernächsten Sonntag zum "Waldadvent" der Pfadfinder im Düppeler Forst. Und dann mal weitersehen!  


Krippenspielprobe mit Herold und Schaf 

Im Übrigen gab der vergangene Samstag Anlass zu der Erkenntnis: Wenn man an einem Tag mehr als eine Sache vorhat, und das womöglich in unterschiedlichen Stadtbezirken, dann sind die Entfernungen innerhalb Berlins durchaus ein nicht zu unterschätzender Faktor. So hatten wir nach dem Pfadfindertreffen gerade ausreichend Zeit, um unterwegs bei einem "Pommesladen" (wie die Kinder gern sagen) ein schnelles Mittagessen einzunehmen, ehe wir zur Krippenspielprobe in St. Stephanus Haselhorst mussten. Es war bereits die zweite Probe für das diesjährige Krippenspiel, aber bei der ersten waren wir nicht gewesen: Ich war beim Bandwochenende, meine Liebste war mit den Kindern bei einer Geburtstagsfeier mit Schatzsuche gewesen und danach schlichtweg zu K.O., um am selben Tag noch zu einem weiteren Programmpunkt zu gehen. Wie sich zeigte, war es aber noch nicht zu spät, noch in die Proben einzusteigen. 

Der Text des Krippenspiels war im Großen und Ganzen derselbe, der schon im Vorjahr Verwendung gefunden hatte, wenn auch an einigen Stellen erweitert und überarbeitet. Die Rolle, die unsere Tochter letztes Jahr gespielt hatte – "Engel 2" – hatte sich diesmal ihre Schulfreundin gesichert, die im vorigen Jahr lediglich eine stumme Rolle als "Engel 4" gehabt hatte; dafür bot der Gemeindereferent, der die Proben leitete, unserer Tochter die Rolle des Herolds an, der zu Beginn des Spiels den Aufruf zur Volkszählung verkündet, und sie übernahm diesen Part mit großer Motivation – sie kann ihren Text schon fast auswendig. Dagegen verschmähte unser Jüngster eine stumme Rolle im Engelchor und erklärte, er wolle lieber ein Schaf spielen und "Mäh" sagen. 

Übrigens spielt das Mädchen, das wir vom JAM kennen und das im aktuellen Erstkommunionkurs ist, "Engel 1", und ihrem Vater, mit dem ich bei Gelegenheit mal ein Bier trinken gehen möchte, wurde kurzerhand die Rolle "Herbergswirt 2" zugeteilt, während ich, wie schon im Vorjahr, "Herbergswirt 1" spielen darf. Den Text kann ich noch so ungefähr. – Im Ganzen verlief die Probe heiter und maßvoll chaotisch; meinen Gesamteindruck würde ich in den Worten "Es gibt noch viel zu tun, aber es kann schön werden" zusammenfassen. Zwei Tage später erfuhr ich allerdings, dass zwei Mädchen, die als "Hirte 2" und "Engel 4" am Krippenspiel hätten mitwirken sollen, am Aufführungstermin gar nicht da sind und folglich ausfallen. Im Fall von "Engel 4" lässt sich das wohl noch verschmerzen, aber "Hirte 2" ist eine durchaus wichtige Rolle; daher versuche ich nun meine Tochter zu überreden, diesen Part noch zusätzlich zur Rolle des Herolds (der ja nur ganz am Anfang auftritt, während die Hirten erst später dran sind) zu übernehmen... Na, mal sehen. 


Schwarzer Gürtel in KiWoGo 

Wie schon mehrfach erwähnt, gibt es in der diesjährigen Adventszeit in St. Joseph Siemensstadt jede Menge Arbeit für das Kinderwortgottesdienst-Team; und das ging gleich am 1. Adventssonntag los. Zugleich wurde an diesem Sonntag auch der neue Firmkurs der Gemeinde vorgestellt, weshalb rund 30 Jugendliche in für sie reservierten Bankreihen Platz nahmen. Außerdem wurden vor Beginn der Messe ein paar Lieder mit der Gemeinde geübt, die auch bei der Firmung (und, so muss man wohl annehmen, bis dahin noch öfter) gesungen werden sollen; und leider muss ich sagen, dass das Lied zum Einzug – "Eingeladen zum Fest des Glaubens" – eines ist, das sehr weit oben auf meiner persönlichen Hass-Liste steht. Gar nicht so sehr aus musikalischen Gründen, sondern wegen des grässlichen Pastoraljargons im Text: "Mal gespannt, mal eher skeptisch, manche zögernd, viele gern" – ist es nicht schon schlimm genug, wenn in der Kirche so geredet wird, muss man auch noch so singen? – 

Wie dem auch sei: Zum Kinderwortgottesdienst erschienen 18 Kinder, von denen sich ein erfreulich großer Teil auch aktiv beteiligte. Der Gemeindereferent und ich hatten uns nämlich – wie neulich schon mal angedeutet – überlegt, die Annäherung an das nicht gerade einfache Evangelium vom Tag (Matthäus 24,37-44, ein Auszug aus den Endzeitreden Jesu) in Dialogform anzugehen, und zwar so, dass der Gemeindereferent kritische Fragen stellte und ich versuchen musste sie zu beantworten; aber eben mit Hilfe der Kinder, d.h. ich gab die Fragen, oder jedenfalls Teilaspekte davon, an die Kinder weiter, sammelte und sortierte die Antworten, die ihnen dazu so einfielen, und baute darauf meine eigenen Antworten auf. Das klappte prima und machte den Kindern – jedenfalls denen, die Antworten hatten, aber das war wie gesagt ein erfreulich großer Teil – sichtlich Spaß. Zum Teil ging es darum, ihr Wissen abzurufen – etwa über die Arche Noah und die Sintflut –, zum Teil aber auch um anspruchsvollere Fragen wie "Was meint Jesus wohl, wenn Er sagt, wir sollen wachsam sein?" und schließlich sogar "Wozu ist Jesus eigentlich auf die Welt gekommen" – wobei die durchaus erwünschten Antworten "um uns zu retten, zu befreien, zu erlösen" o.ä. die Folgefrage nach sich zogen: Wovon? – Das einzige Problem war, dass wir uns mit der Zeit verschätzt hatten. Wir hatten uns allzu sehr darauf verlassen, durch die parallel stattfindende Vorstellung der Firmlinge jede Menge Zeit zur Verfügung zu haben, hatten uns daher eine ausführliche Exposition geleistet, und die Folge war, dass wir ausgerechnet da, wo es richtig spannend wurde, zusehen mussten, dass wir fertig wurden. Der Schluss war also ein bisschen abrupt und wir hätten eigentlich noch mehr "auf dem Zettel" gehabt, aber ich glaube, allzu schlimm war das nicht: Aus Sicht von Kindern, so scheint mir, ist es gar nicht so wichtig, dass die Katechese von vorn bis hinten gut durchstrukturiert ist; sie picken sich sowieso das heraus, was ihrem Verständnishorizont entspricht, und unter diesem Aspekt bin ich optimistisch, dass diese Katechese zum 1. Adventssonntag genug Impulse enthielt, dass jeder etwas "mitnehmen" konnte. Grundsätzlich bleibt es natürlich ein Ärgernis des Formats "Kinderwortgottesdienst", dass man keine Planungssicherheit hinsichtlich der Länge des Programms hat; aber darüber kann ich mich mal ausführlicher auslassen, wenn und falls ich aus der Rubrik "Schwarzer Gürtel in KiWoGo" mal ein Buch mache. 

Zurück in der Kirche, schenkte mir einer der Firmlinge aus der Bankreihe vor mir ein aus einem Liedzettel gefaltetes Papierboot. Ich wunderte mich zwar, fand es aber nett.

Neues vom Schulkind: Kümmere dich um die Sexualerziehung deines Kindes, bevor es die Falschen tun 

Die Kinderkatechese zum Thema Wahrsagerei und Geisterbeschwörung, über die ich im vorigen Wochenbriefing berichtet habe, kam offenkundig zur richtigen Zeit, denn wie sich seitdem gezeigt hat, liegen Phänomene aus dem Graubereich zwischen Mutprobe und Okkultismus an der Schule unseres Tochterkindes derzeit ziemlich im Trend. Sicherlich nicht nur an dieser Schule, möchte ich annehmen; glücklich kann sich schätzen, wer ein Kind hat, das seinen Eltern davon erzählt, denn solche Dinge sind ja oft auch mit viel Heimlichtuerei verbunden. Als unsere Tochter neulich nach der Schule eine Freundin besuchte und diese ihr ein Video zeigte, in dem erklärt wurde, wie man Kontakt zu Geistern aufnehmen könne, hatten wir hinterher ein kritisches (aber dennoch freundliches) Gespräch mit der Mutter des anderen Mädchens – und auch noch eins mit unserer Tochter, um ihr nachdrücklich klarzumachen, dass so etwas kein Spaß ist und dass sie dergleichen bleiben lassen sollte. 

Besonderer Beliebtheit erfreut sich im Freundinnenkreis des Tochterkindes derzeit offenbar die "moderne Sage" (so definiert es Tante Wikipedia) um "Bloody Mary" – eine "Spukgestalt", die man angeblich nachts im Badezimmerspiegel sehen kann, wenn man wiederholt ihren Namen ausspricht (und fest genug daran glaubt). Interessant ist daran nicht zuletzt, dass laut Tante Wikipedia der seit dem 19. Jahrhundert, verstärkt aber seit den 1960er dokumentierte Glaube an "Bloody Mary" vor allem bei Mädchen in der Vor- und Frühphase der Pubertät auftritt, was manche Forscher zu der Hypothese veranlasst habe, in dieser "Spukgestalt" manifestiere sich die Angst vor Menstruationsblut und/oder anderen körperlichen Veränderungen in der Pubertät. 

Und das bringt mich zu meinem nächsten Punkt, nämlich dass bei einem achtjährigen Mädchen die Pubertät nicht mehr ganz so weit weg ist, wie man sich das als Vater vielleicht wünschen würde. Eine der Schulfreundinnen des Tochterkindes hat angeblich schon ihre Tage bekommen, und die ist neun. Aber auch davon abgesehen mehren sich die Anzeichen, dass ein gewisses – vorläufig noch zwischen Ekel und Neugier changierendes – Interesse an Sexualität im Freundeskreis des Tochterkindes auf dem Vormarsch ist. Neulich erzählte mir meine Tochter von einem Buch, das sie sich in der Schule zusammen mit zwei Freundinnen angesehen habe und das sie teilweise eher verstört habe; zum Beispiel habe sie darin eine bildliche Darstellung von Oralverkehr gesehen (das war natürlich nicht ihre Wortwahl, ich habe das hier mal paraphrasiert). Da musste ich erst mal nachhaken, was das wohl für ein Buch war. Soweit ich es durch Nachfragen ermitteln konnte, handelte es sich immerhin nicht um irgendein Pornoheft, sondern um ein sexualkundliches Sachbuch, das ihre Freundinnen in der Schulbücherei entdeckt hatten; aber die Übergänge können da ja durchaus fließend sein. Jedenfalls hat mir diese Sache deutlich gemacht, dass es wohl mal Zeit wird, sich mit dem Kind über die Bienchen und die Blümchen zu unterhalten. Dabei hatte ich eigentlich gedacht, ich hätte noch ein bisschen Zeit. Aber so ist das wohl immer. 

-- Und nun? Ich sag mal so: Ratschläge und Ermahnungen an die Adresse christlicher Eltern, sie sollten sich tunlichst selbst und rechtzeitig um die Sexualerziehung ihrer Kinder kümmern, gibt's, wie der Angloamerikaner sagt, a dime a dozen; auch z.B. in Amoris laetitia findet sich ein entsprechender Hinweis. Erheblich schwerer zu finden sind jedoch Fingerzeige und praktische Hilfen dafür, wie das konkret gehen soll. Ich habe mal in dem Buch nachgeschaut, das ich zum Abschluss des Eltern-Glaubenskurses in der Gemeinde auf dem Weg geschenkt bekommen habe: "Empower – Mit Glaube und Leichtigkeit durch das Abenteuer Erziehung" von Tobias Teichen. Da erfährt man zum Beispiel, "das durchschnittliche Alter, mit dem Kinder erstmals mit Pornos in Kontakt kommen", liege derzeit bei elf Jahren: "Das heißt ja, dass einige schon mit sechs, sieben oder acht Jahren Pornos gesehen haben, andere 'erst' mit 13 oder 14 Jahren", wird diese statistische Aussage konkretisiert. Und was soll man da jetzt machen? Im Abschnitt "Praktische Tipps" geht's erst mal nur darum, auf internetfähigen Geräten, auf die die Kinder Zugriff haben, einen Kinderschutz zu installieren. Gut und schön, aber das stößt bereits an Grenzen, wenn die Eltern der Freundinnen und Freunde des eigenen Kindes das bei den Geräten ihrer Kinder nicht auch tun. Sonst noch Tipps? Allerdings: Vor allem soll man mit seinen Kindern reden. Na klar, super Sache, bin absolut dafür. Aber schön wär's, wenn man über solche allgemeinen Appelle hinaus auch mal einen brauchbaren Gesprächsleitfaden an die Hand bekäme. 

Daher hab ich mir gedacht, ich zieh' an dieser Stelle mal den Publikumsjoker und frage euch, Leser: Habt ihr Tipps oder Erfahrungswerte zu diesem Thema, könnt ihr Ressourcen (in Form von Büchern, Videos, Kursen etc.) empfehlen, die dabei helfen, eine kindgerechte Sexualaufklärung mit einer – um mal einen etwas altmodischen Begriff zu verwenden, aber einen besseren wüsste ich nicht – Erziehung zur Keuschheit zu verbinden? Sowas wie "Theologie des Leibes für Kinder" – gibt's da was? Dass man von der institutionellen Kinder- und Jugendpastoral unserer lieben Mutter Kirche in dieser Hinsicht keine Unterstützung erwarten darf, dürfte nach den Beobachtungen, die ich bei der "Kickoff Jugendpastoral"-Veranstaltung am diesjährigen Valentinstag (!) gemacht habe, und erst recht nach dem im Namen der deutschen Bischöfe lancierten Dokument "Geschaffen, erlöst und geliebt. Sichtbarkeit und Anerkennung der Vielfalt sexueller Identitäten in der Schule" ja auf der Hand liegen. Vielleicht frage ich trotzdem mal bei der diözesanen Jugendpastoral an, nur so aus Chuzpe. Die Ergebnisse werde ich hier dann natürlich dokumentieren... 

In dem Elterngespräch, das meine Liebste und ich am Dienstag mit der Vertrauenslehrkraft unserer Tochter hatten, sprachen wir diese Themen nicht an; da ging es eher darum, wie man sie ohne Druck und ohne Schaden für ihre Eigenmotivation dazu bewegen könnte, die vielfältigen Lernangebote der Schule besser und gezielter zu nutzen, statt die Schulzeit vorrangig als Zeit zu betrachten, die sie mit ihren Freundinnen verbringen kann. Das Gespräch verlief insgesamt in einer freundlichen, vertrauensvollen und konstruktiven Atmosphäre, und ein paar sehr erfreuliche Mitteilungen darüber, wie unsere Tochter sich in der Schule so macht, wurden uns auch zuteil: zum Beispiel, dass sie viel und gern schreibt (das hat sie wohl vom Papa, höhö), aber auch, dass sie einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn an den Tag legt und sich für andere einsetzt. Das hören wir zwar nicht zum ersten Mal und haben es auch schon des öfteren live miterlebt, aber es ist ja trotzdem schön, so etwas gesagt zu bekommen. 


In Österreich gehen die Uhren langsamer...

...und daher ist eine Debatte, über die auf diesem Blog schon vor über einem Jahr etwas zu lesen war, erst jetzt auch in der Religions-Redaktion des ORF angekommen: nämlich die Debatte über Risiken und Nebenwirkungen von Gebets-Apps, deren bekannteste und daher auch umstrittenste wohl die Hallow-App ist. Wie ich schon mehrfach erwähnt habe, hat meine Liebste die Hallow-App auf ihrem Handy installiert und findet sie gut; mein Ding ist sie eher nicht so, mir reicht die Stundenbuch-App. Gleichwohl geht es mir mit der Hallow-App so ähnlich, wie es Erich Mühsam (oder wem?) mit Karl May ging, über den er sagte: "Alles, was seine Kritiker ihm vorwerfen, spricht für ihn." 

Und was wäre das zum Beispiel? Beim ORF kommen vorrangig die Wiener Sozialethikerin Linda Kreuzer und der Innsbrucker Dogmatiker Johannes Hoff zu Wort; der letztere "findet an Hallow inhaltlich wenig auszusetzen, er warnt aber [...] ganz allgemein vor den technischen Tücken solcher Apps". Ich würde mal sagen, das ist ein Thema für sich, auf das ich hier nicht näher eingehen kann; konzentrieren wir uns daher mal auf Linda Kreuzers Kritik. Diese entzündet sich zunächst daran, dass die Inhalte der Hallow-App teilweise von Leuten stammen, die "nicht die Autorität haben", ein "bestimmtes Bild vom Christentum" zu vermitteln. Aha. Und was für eine Art von Autorität meint sie damit? "Die meisten 'Christfluencer' verfügen über keine akademische Ausbildung." Schockierend! Wo kommen wir da hin, wenn Leute ohne einschlägigen Studienabschluss in der Glaubensverkündigung mitmischen – womöglich gar Fischer, Zöllner oder Zeltmacher

Vor allem nimmt Frau Kreuzer als Sozialethikerin jedoch Anstoß daran, dass der bei Hallow propagierten Spiritualität "die soziale Komponente" fehle: auf "soziales Engagement" werde "gar nicht eingegangen", ebenso gebe es "auch keinerlei politische Auseinandersetzung". Da könnte man natürlich erst einmal hinterfragen, wieso jemand solche Inhalte in einer Gebets-App erwarten sollte, aber stellen wir uns mal nicht naiver an, als wir sind: Die Auffassung, die Relevanz des Christentums liege wenn nicht allein, so doch zumindest vorrangig im sozialen und politischen Engagement und eine Konzentration auf Spiritualität, auf Anbetung und Lobpreis lenke davon nur ab, begegnet uns hier ja nicht gerade zum ersten Mal. Ähnliche Töne kennt man ja z.B. auch von Frau Kreuzers Fachkollegin Ursula Nothelle-Wildfeuer, Mitherausgeberin des Buches "Einfach nur Jesus?"; und tatsächlich findet dieser vielsagende Buchtitel sein Echo in Linda Kreuzers Feststellung "Hallow ist stark jesuskonzentriert". Und das soll etwas Schlechtes sein? Es scheint so; jedenfalls sieht Frau Kreuzer darin eine "Diskursverschiebung [...] weg von der kritischen, sozialen Dimension hin zu individueller Anbetung". Also sorry, wenn das eine "Diskursverschiebung" sein soll, dann doch wohl allenfalls deshalb, weil der Diskurs seit rund 60 Jahren von interessierten Kreisen entschlossen in die entgegengesetzte Richtung verschoben wurde – und damit in einer Sackgasse gelandet ist. Ich muss sagen, ich habe große Schwierigkeiten, Leute ernst zu nehmen, die meinen, in der Kirche sollte es weniger um Jesus gehen und mehr um soziale und politische Fragen der Gegenwart. Damit will ich die diakonische Dimension des Christentums – "die riesengroße Frage der Caritas", wie Linda Kreuzer das nennt – nicht kleinreden; aber wer glaubt, diese gegen die persönliche Christusbeziehung ausspielen zu können, sollte sich vielleicht mal mit dem Leben und Werk von Dorothy Day oder Mutter Teresa von Kalkutta (man könnte hier sicherlich auch allerlei andere Namen aus der Kirchengeschichte einsetzen) vertraut machen, um zu begreifen, dass gerade die diakonische Dimension des Christentums im persönlichen Gebet und in der Anbetung verwurzelt sein muss, wenn sie nicht bloße Sozialarbeit sein will. (Und wenn nun jemand meint, "bloße Sozialarbeit" klinge abwertend, dann möchte ich klarstellen: Ich habe durchaus nichts gegen Sozialarbeit, aber eine umfassende Verwirklichung des Sendungsauftrags der Kirche ist sie nicht. Ich denke, nichtchristliche Sozialarbeiter würden mir da zustimmen.) – Es kommt aber noch "besser": So wird kritisiert, "Personen, die auf Hallow Inhalte weitergeben, verträten ein sehr konservatives Familien- und Geschlechterbild". Und was heißt "sehr konservativ" hier konkret? "[D]ie heterosexuelle Beziehung, die auf Kinderkriegen ausgerichtet ist, werde als die Norm dargestellt." Ach. Wann haben die Leute, die so etwas kritisieren, eigentlich das letzte Mal in den Katechismus geschaut? 

Im Ernst: Man sollte denken, wenn die Inhalte einer Gebets-App dafür kritisiert werden, dass sie mit der Lehre der Kirche übereinstimmen, müsste es auf der Hand liegen, dass diese Kritik eigentlich nicht der App gilt, sondern der kirchlichen Lehre. Die Leute, die diese Kritik äußern, machen aber nicht den Eindruck, als sei ihnen das bewusst. Sie scheinen vielmehr anzunehmen, es gebe einen selbstverständlichen Konsens darüber, dass man die offiziellen Positionen des kirchlichen Lehramts nicht so ernst nehmen dürfe; und wenn dann Leute kommen, die das doch tun und sich dezidiert zu dieser Lehre bekennen, dann ist man schockiert und empört, dass jemand aus diesem bequemen Konsens ausschert. Ich kann mich da nur wiederholen: Das ist so, als würden Leute, die Fleisch essen, nicht nur das Recht für sich in Anspruch nehmen, sich trotzdem Veganer zu nennen, sondern würden obendrein diejenigen, die tatsächlich keinerlei tierische Produkte konsumieren, als "Grünzeugfresser" beschimpfen. 


Horse & Hound: Alles wie immer, nur öder und blöder? 

Wir bleiben – gewissermaßen – beim Thema: Als ich unlängst auf den Instagram- und Facebook-Auftritten von "Heilige & Halunken" (oder wie ich es, angelehnt an eine Passage aus "Ostwind: Aris Ankunft" gern nenne, "Horse & Hound") eine Ankündigung las, die ich auf den ersten Blick so verstand, dass der jüngst zum Pastoralreferenten im Bistum Essen beauftragte Thomas Halagan dieses Format nach fünfeinhalb Jahren einstellen wolle, war ich erst mal nicht sonderlich überrascht. Den Podcast selbst habe ich ja nie gehört, aber die Instagram-Präsenz, über die ich mich hauptsächlich über das Tun und Meinen des smarten Sechstagebartträgers auf dem Laufenden hielt, zeigte doch schon seit einiger Zeit gewisse Ermüdungerscheinungen. Zeitweilig sah man da kaum etwas anderes als Urlaubsfotos und Kurzvideos, die den Betreiber des Kanals beim Klampfe-Üben zeigten; auffällig war auch, dass der Halagan nach dem Ausstieg von Mareike Wolff nicht nur einen neuen Mitstreiter suchte, sondern ausdrücklich jemanden, der das Projekt auf längere Sicht übernehmen würde – da schien sich aber erst einmal niemand zu finden. Und dann kam da neulich noch dieses Geraune dazu, man habe dem Halagan gesteckt, wenn er im institutionellen Apparat der Kirche noch was werden wolle, dürfe er sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen – wozu ich ja schon einmal angemerkt habe, es habe "durchaus etwas Beunruhigendes", sich zu fragen, was "der Thomas H. denn innerhalb der kirchlichen Strukturen überhaupt noch 'werden'" wolle... Alles in allem hätte es mich also nicht unbedingt gewundert, wenn Thomas H. sich dazu entschlossen hätte, seine Karriere als kircheninterner Böhmermann für ganz ganz Arme an den Nagel zu hängen und sich fortan darauf zu beschränken, unter Gladbecker Schul- und Erstkommunionkindern Unheil anzurichten. 

Andererseits dokumentiert wohl schon die Tatsache, dass ich bereits im vorigen Wochenbriefing einen Beitrag zum Thema "Horse & Hound: Rückzug oder Relaunch?" ankündigte, zur Genüge, dass ich dem Braten nicht recht traute. Einerseits verschwanden die alten Beiträge vom Instagram-Profil, andererseits wurde das Profilbild (vorübergehend) durch ein "Die drei ???"-Logo ersetzt, was wohl eher Spannung oder Neugier auf Kommendes evoziert, als dass es erwarten ließe, dass da gar nichts mehr kommt. Und wenn man den Text der besagten Ankündigung (vom 29. November) genau las, dann stand da auch gar nicht drin, dass das Projekt als solches eingestellt wird. Sondern: 

"Der Umbau hat begonnen und ich verabschiede mich nach 5 1/2 Jahren aus dem Projekt 'Heilige & Halunken'." 

Hervorhebung von mir. Er verabschiedet sich aus dem Projekt, das heißt, das Projekt an sich läuft weiter, aber ohne ihn. Und die Art und Weise, wie da von einem "Umbau" die Rede ist, weckt zumindest bei mir den Verdacht, dieser Rückzug sei womöglich nicht ganz freiwillig erfolgt. Was natürlich Fragen aufwirft: Wem gehört der Podcast "Heilige und Halunken" eigentlich? Kann es sein, dass der Thomas H. aus seinem eigenen Projekt gefeuert wurde – womöglich gar, weil er zu kontrovers war? Denkbar ist ja Vieles. Ich fühle mich da daran erinnert, wie in den 60er Jahren Günter Stiff beim von ihm begründeten "Komm-mit-Kalender" rausflog (ein insgesamt etwas rätselhafter Vorgang, bei dem, wie mir scheint, der Orden der Steyler Missionare eine fragwürdige Rolle spielte), mit der Folge, dass der Kalender für ein paar Jahre deutlich "linksoffener" und Popkultur-affiner wurde, während Stiff einen zähen Rechtsstreit führte, um die Kontrolle über sein publizistisches Baby zurückzugewinnen, was ihm pünktlich zum Ende des Jahrzehnts gelang. – 

Dass die Geschichte so endet, erwarte ich im vorliegenden Fall jedoch nicht. Drei Tage nach der obigen Ankündigung las man: "Ein neues Team aus drei Personen" – klingt irgendwie sehr trinitarisch, oder? – "übernimmt hier fortan"; und weiter: "Neue Gesichter, neue Formate, ein neues Design und auch ein aktualisierter [!] Name", nämlich, man halte sich fest: 

"Heilige, Halunk*innen & (Sinn)Suchende"! 

Im Ernst. – Das neue Logo, das inzwischen gedroppt ist, sieht auch eher bieder und öde aus; auf der inhaltlichen Seite steht derweil zu erwarten, dass das Projekt klar auf PUU-Kurs (postchristlich, undogmatisch, universalistisch) bleibt: "Wir stehen für eine Kirche, die diskriminierungskritisch, feministisch und solidarisch ist", lässt das neue Team sein Publikum wissen. Also alles wie immer – nur langweiliger, weil der narzisstische Macho-Charme, die Streitlust und Chuzpe des Gründers fehlen (werden). Mir geht's da ein bisschen wie Karl Varnhagen von Ense, als er im Frühjahr 1851 – als Hermann Goedsche, der später unter dem Pseudonym "Sir John Retcliffe" Bestsellerautor wurde, vorübergehend die Redaktion der polemisch-satirischen Klatschkolumne "Berliner Zuschauer" in der Neuen Preußischen Zeitung abgeben musste – in sein Tagebuch notierte: "Der Zuschauer der 'Kreuzzeitung' ist seit Goedsche's Abgang auffallend gering und dürftig; dieser Kerl war also die Hauptperson in dieser Kothpfütze!" – Mit anderen Worten: Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber irgendwie vermisse ich Thomas Halagan jetzt schon. 


Geistlicher Impuls der Woche 

Ich besuchte die Dörfer der Neugetauften, die wenige Jahre vorher die christlichen Sakramente empfangen hatten. Den einheimischen Christen fehlen Priester. Sie wissen nur, dass sie Christen sind. Niemand tut bei ihnen den heiligen Dienst, niemand lehrt sie das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, das Ave und die Gebote Gottes.

Seit ich hergekommen bin, habe ich nicht geruht: Ich bin viel durch die Dörfer gewandert und habe die noch nicht getauften Kinder mit dem Heiligen Wasser reingewaschen. Die Kinder ließen mich nicht zum Stundengebet, nicht zum Essen und Schlafen kommen, bevor ich ihnen nicht irgendein Gebet beigebracht hatte. Da begriff ich, dass gerade ihnen das Himmelreich gehört (vgl. Mt 19,14). Da ich ein so frommes Verlangen nicht ohne Sünde zurückweisen konnte, begann ich mit dem "Ehre sei dem Vater" und prägte ihnen das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und das Ave-Maria ein. Ich konnte feststellen, dass es unter ihnen Begabungen gibt. Wäre jemand da, der sie in den christlichen Gebeten unterrichtete, würden sie sicher sehr gute Christen. Hierzulande werden viele Leute nur deswegen nicht Christen, weil sie niemand dazu macht. 

(Hl. Franz Xaver, Brief an den Hl. Ignatius von Loyola) 


Ohrwurm der Woche 

Joachim Witt: Tri tra trullala (Herbergsvater) 

Ja, ich gebe es zu: Diesen Ohrwurm habe ich, seit ich bei der Krippenspielprobe die Rolle "Herbergswirt 1" zugeteilt bekommen habe. Aber auch wenn man über den sehr... äh... minimalistischen Text geteilter Meinung sein mag, ist dieses Stück doch immerhin musikalisch ausgesprochen bemerkenswert; ich bin geneigt, darin ein Bindeglied zwischen Krautrock und NDW zu sehen – sagen wir exemplarisch: zwischen "Autobahn" von Kraftwerk und Peter Schillings "Major Tom"


Vorschau/Ausblick 

Heute war St. Nikolaus, da gingen wir erst einmal zum Weihnachtsmarkt in der Spandauer Altstadt und am Nachmittag dann zu einer Nikolausfeier in St. Joseph Siemensstadt – wo letztes Jahr ich selbst den Nikolaus spielen durfte, aber dieses Jahr übernahm diese Rolle wieder ein Darsteller, der sich keinen falschen Bart umzuhängen brauchte, weil sein echter schon nikolausmäßig genug aussieht. Der morgige Sonntag ist zwar der einzige Adventssonntag in diesem Jahr, an dem in St. Joseph Siemensstadt kein Kinderwortgottesdienst geplant ist, aber auch ohnedies haben wir die Qual der Wahl zwischen verschiedenen einander leider ausschließenden Optionen für die Gestaltung dieses Sonntags: In St. Joseph gibt es im Anschluss an die Messe einen Empfang zum 25-jährigen Priesterjubiläum des örtlichen Pfarrvikars, andererseits ist es aber auch der erste Sonntag im Monat, was einmal mehr die Gelegenheit für ein Gottesdienst-Double-Feature in Haselhorst böte; und noch andererseits ist in der evangelischen Kirchengemeinde, zu der die KiTa unseres Jüngsten gehört, Familiengottesdienst. Wenn wir da hingehen wollten, hätten wir allerdings gut daran getan, zur Erfüllung der Sonntagspflicht heute nach der Nikolausfeier in St. Joseph Siemensstadt in die Vorabendmesse. Ich vermute mal, wir werden eher zum Double-Feature in Haselhorst gehen. 

In der kommenden Schul- und Arbeitswoche gedenke ich mindestens einmal, nach Möglichkeit aber zweimal mit dem Jüngsten zum Kampfsporttraining zu gehen, nachdem das Probetraining am vergangenen Donnerstag ein voller Erfolg war: Der Knabe hatte offensichtlich viel Spaß und war mit großem Engagement bei der Sache, und auch der Trainer äußerte sich lobend über ihn – er habe sich gut in die Gruppe eingefügt, habe viel Energie und keine Schwierigkeiten, die Übungen zu verstehen. Nicht zuletzt hatte ich den Eindruck, dass die – wenn man so will – ritualisierte Disziplin dem Knaben gut tut. Das ist ja in gewisser Weise ähnlich wie bei den Pfadfindern. 

Davon abgesehen steht diese Woche noch nicht viel auf dem Programm, allerdings rückt der nächste KiWoGo bereits unaufhaltsam näher und wird noch einige Vorbereitung erfordern. Und Krippenspielprobe ist nächsten Samstag auch wieder. Was sonst noch so an Themen für das nächste Wochenbriefing auf uns zukommen wird, bleibt abzuwarten... 


Donnerstag, 4. Dezember 2025

Weiteres vom legendären Bandwochenende

Wer regelmäßig meine Wochenbriefings verfolgt, der wird wissen, dass meine alte Schülerband unlängst Reunion gefeiert hat. Mit dem Bericht über das Bandwochenende in Neufahrn bei Freising habe ich mich in Utopie und Alltag 1 bewusst kurz gefasst, aber jetzt habe ich das Gefühl, es ist noch so viel zu erzählen "übrig", dass es einen eigenständigen Artikel rechtfertigt. Zum Beispiel habe ich noch kaum etwas darüber gesagt, was für Musik wir an diesem Wochenende eigentlich gemacht haben, und außerdem bin ich meinen Lesern noch eine Erklärung schuldig, was es eigentlich mit dem Honigglas im Reisegepäck auf sich hatte. Wen's nicht interessiert, der braucht es ja nicht zu lesen. 

Hat ein bisschen was von Abbey Road, oder?

Wie fange ich also an? – In der Kurzfassung meines Berichts über das Bandwochenende hatte ich die Musikinstrumente aufgezählt, die bei unserer Wohnzimmer-Session zum Einsatz kamen – akustisches Klavier, elektronisches Schlagzeug, Cajón, Altsaxophon, Trompete, eine akustische und zwei elektrische Gitarren, ein E-Bass und ein Gesangsmikrofon –, und das mag vielleicht Fragen darüber aufwerfen, wie viele Personen eigentlich an dieser Band-Reunion beteiligt waren. Aber nein, wir hatten nicht so viele Bandmitglieder wie Instrumente. Vielmehr war es tendenziell schon früher™️ so, dass einzelne Bandmitglieder mehrere verschiedene Instrumente spielten, und seitdem haben wir, wie ich glaube behaupten zu können, alle noch was dazugelernt – ich zum Beispiel beherrsche, auch wenn ich nicht so oft zum Üben komme wie ich gern möchte, dank meiner Tätigkeit in der Kinderkatechese inzwischen ungefähr sieben Gitarrenakkorde (wobei "beherrschen" vielleicht schon ein bisschen zuviel gesagt ist). 

Dieser Trend zum Multiinstrumentalismus bringt es übrigens mit sich, dass es wenig praktikabel und recht umständlich wäre, die beteiligten Personen im weiteren Verlauf dieses Berichts nach ihrer Funktion in der Band zu benennen (Sängerin, Gitarrist...); daher habe ich mich, bei allem Respekt vor Persönlichkeitsrechten, dazu entschlossen, sie im Folgenden bei ihren Vornamen zu nennen. Und ich schätze, zur Vorstellung der Dramatis personae bietet sich erst einmal ein Rückblick auf die Geschichte der Gruppe Basic Stupidity an. 

Kollege Bernd hatte tatsächlich ein altes T-Shirt mit unseren "Tourdaten" ausgegraben und zum Treffen mitgebracht. Die Rubrik "Coming Soon" ist übrigens aufschlussreich hinsichtlich unserer Ambitionen: Wir wollten erst im Giants Stadium in New York auftreten und dann in der Jahnhalle in Nordenham. Immerhin haben wir das letztere Ziel wenig später tatsächlich erreicht.

Die Anfänge der Band reichen zurück bis in die 11. Klasse, als der gerade von einem Austauschjahr in den USA zurückgekehrte Robert sich in verschiedenen Konstellationen mit Mitschülern zum gemeinsamen Musizieren traf; dabei zeigte sich bald, dass er und Bernd musikalisch (und wohl auch sonst) am besten miteinander klarkamen. Robert spielte Gitarre, Bernd Keyboard, und nun suchten sie gemeinsam nach weiteren Mitstreitern, die nach Möglichkeit andere Instrumente spielten – was schwierig war, da die meisten Mitschüler, die irgendwelche musikalischen Ambitionen hatten, entweder Gitarre oder Keyboard spielten. Und da schlug nun meine große Stunde, denn ich hatte mir gerade – angeregt durch den John-Hughes-Film "Ist sie nicht wunderbar?" – ein Schlagzeug gekauft, von den Einkünften eines Jobs, den ich explizit zu diesem Zweck angenommen (und, sobald ich das Geld zusammen hatte, wieder gekündigt) hatte. Und so standen eines Tages nach dem Matheunterricht Robert und Bernd vor mir und sagten: 

"Wir haben gehört, du hast dir ein Schlagzeug gekauft." 
Ich bestätigte das. 
"Und wo spielst du? Hast du einen Probenraum?" 
"Äh ja, im Keller." 
"Cool. Wir kommen Freitag mal vorbei, bisschen Mucke machen." 

Und tatsächlich standen am folgenden Freitag gegen 15 Uhr Robert und Bernd mit ihren Instrumenten und Verstärkern bei mir auf der Matte; wir gingen in den Keller, machten rund drei Stunden "Mucke", dann packten sie ihr Equipment wieder ein und sagten: 

"Das war cool – wir kommen nächsten Freitag wieder." 

Als wir dann schließlich soweit waren, uns als Band zu betrachten und zu bezeichnen (und nicht nur als "ein paar Jungs, die sich nachmittags treffen, um zusammen Mucke zu machen"), zeichnete es sich ab, dass keiner von uns besonders erpicht darauf war, den Leadgesang zu übernehmen. Dieser Umstand brachte uns auf die Idee, uns unter unseren Mitschülern nach einem Sänger oder einer Sängerin umzusehen; idealerweise sollte das jemand sein, der oder die obendrein ein Instrument spielte, das wir noch nicht hatten. Wenig später bekam ich, während ich nach Schulschluss auf den Bus wartete, mit, dass Inga aus meinem Gemeinschaftskunde-Grundkurs Saxophonunterricht nahm, und dachte mir: Saxophon ist ein cooles Instrument, und singen kann die doch bestimmt auch. Daher regte ich an, sie mal zu einer unserer Bandproben einzuladen. Ich glaube, anfangs war sie sich nicht so ganz sicher, ob sie wirklich mit uns in einer Band spielen wollte, aber das gab sich dann doch recht bald. 

Und dann war da noch Daniel. Der war zwar offiziell nie Mitglied der Band, dafür aber mit uns allen befreundet und daher bei unseren gemeinsamen Unternehmungen außerhalb des Bandprobenraums eigentlich immer mit dabei. Teilweise auch im Bandprobenraum: Sofern es darum ging, einfach zum eigenen Vergnügen ein bisschen 'rumzujammen, mischte Daniel gern mal mit und probierte sich an verschiedenen Instrumenten aus. Das gipfelte schließlich darin, dass Robert ihm eine eigene E-Gitarre baute: die Daniel Special

Hier guckt sie aus dem Reisegepäck raus. 

Alles in allem war Daniel jedenfalls so eine Art "Ehrenmitglied" der Band, und darum waren wir uns einig, dass wir ihn auch beim Reunion-Wochenende dabeihaben wollten. –

Ingas Ehemann Volker kennen wir ebenfalls alle schon "von früher her": Als Inga in die Band einstieg, war sie noch nicht mit ihm zusammen, aber ein paar Jahre darauf war er mal mit uns allen auf dem Roonkarker Mart und etwas später fuhren wir auch mal zusammen in Urlaub. Auch er beteiligte sich zeitweilig an unserer Reunion-Session in seinem Wohnzimmer, nämlich indem er Schlagzeug spielte – und zwar ehrlich gesagt besser als ich. Fast hätte ich gesagt "besser als ich es jemals konnte", aber das stimmt vielleicht doch nicht; ich bin einfach extrem aus der Übung. In den letzten Sommerferien war ich mit der Familie bei einem "Schlagzeug- und Cajón-Workshop" in der Nordseelagune in Burhave, da musste ich meinen Kindern ja mal demonstrieren, dass ich das im Prinzip mal konnte, und so setzte ich mich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal seit, na, bestimmt irgendwas zwischen zehn und 20 Jahren wieder an ein Schlagzeug – oder, wie Franz Werfel es in "Der veruntreute Himmel" beschreibt, an "[d]as gekoppelte Schlagwerk einer Jazzmusik [...], dessen große Trommel und Becken mittels eines Pedals zu spielen waren". Und ich kann euch sagen, Freunde, wie ich da so saß, dauerte es ein bisschen, bis sich das motorische Gedächtnis einschaltete und ich plötzlich wieder wusste, was ich mit der linken Hand und was mit dem rechten Fuß machen musste. Na, immerhin trug dieses Erlebnis dazu bei, dass ich mich überhaupt traute, mal wieder mit meinen alten Bandkollegen zusammen zu musizieren. 

Und was musizierten wir nun? – Kurz gesagt: eine Menge. Aus unserem früheren Band-Repertoire spielten wir u.a. "Ring of Fire" von Johnny Cash (bzw. eigentlich von seiner Frau, June Carter Cash), "99 Luftballons" von Nena und "So Lonely" von The Police; hätten die Urheber der Songs, die wir spielten, dafür Tantiemen bekommen, wäre der große Gewinner des Wochenendes aber Paul Simon gewesen, denn von diesem spielten wir neben dem im vorletzten Wochenbriefing gewürdigten "Diamonds on the Soles of Her Shoes" (das wir recht eigenwillig interpretierten – aber es hatte was) auch "Late in the Evening", "Mrs. Robinson", "The Boxer" und "Bridge Over Troubled Water". Nicht umsonst war Paul Simon schon dreimal in meiner Wochenbriefing-Rubrik "Ohrwurm der Woche" vertreten (was ansonsten bisher nur dem "Credo unplugged"-Projekt meines Freundes Raphael Schadt gelungen ist); und Gitarrist Robert merkte an, wenn man ihn – wie es in Interviews in Musikzeitschriften zuweilen vorkomme – nach einem "perfekten Song" fragen würde, würden ihm vielleicht zehn Songs einfallen, "aber davon wären bestimmt vier von Paul Simon". – Zu meinen persönlichen Highlights der Session zählten "I Shot the Sheriff" (Bob Marley) und "The Girl From Ipanema" (Antonio Carlos Jobim), die ich vor Jahren mal – als "Ik hebb de Wachtmeester doodmaakt" und "De Deern ut Ipwegermoor" – auf Plattdeutsch nachgedichtet hatte und bei denen ich nun mit "meiner" Textfassung den Leadgesang übernahm, während Volker sich ans Schlagzeug setzte. Bisher hatte ich diese Stücke lediglich auf Kleinkunstbühnen in Berlin zusammen mit einem Gitarristen vorgetragen; sie zusammen mit einer kompletten Band zu spielen, war nochmal ein ganz eigenes Erlebnis. Ebenfalls den Leadgesang übernahm ich bei einer zu unserem "alten" Repertoire zählenden Eigenkomposition von Bernd, "Zu hoch für mich" – einer flotten und witzigen Jazz-Pop-Nummer, von der ich finde, man sollte sie mal professionell einspielen und veröffentlichen; die hätte Potential, glaube ich. – Bereits im vorigen Wochenbriefing gewürdigt habe ich unsere Version von Astor Piazzollas "Libertango"; gut zehn Minuten lang probierten wir an "Little Wing" von Jimi Hendrix herum, und ich sag mal, teilweise gelang es uns recht gut. (Okay, seien wir ehrlich: Roberts Gitarrenpart war gut, das Zusammenspiel klappte so mittel und mein Gesang war auch eher so mittel.)

Mein definitiver musikalischer Lieblingsmoment des Wochenendes ereignete sich jedoch kurz vor der Mittagspause in Form einer Funk-Rock-Improvisation mit Bernd an der Trompete, Robert am Bass und Daniel an der Gitarre; Akkordwechsel erfolgten auf Zuruf, ich hörte erst mal ein bisschen zu, ehe ich mich ans Schlagzeug setzte und mitzuspielen begann, schlichter Groove, keine Fisimatenten. Ich will gar nicht behaupten, dass das im Gesamtergebnis unbedingt besser klang als alles andere, was wir an diesem Wochenende spielten; mein Lieblingsmoment war es vielmehr deshalb, weil es sich so anfühlte wie vor rund 30 Jahren im Keller in Burhave. Ich finde es wirklich schade, ausgerechnet dieses Stück nicht aufgenommen zu haben – aber das war mir früher™️ bei vielen unserer gelungensten Improvisationen auch schon so gegangen. Als Bernd dann allerdings die Trompete aus dem Mund nahm und rief "Daniel, Gitarrensolo!", wusste der arme Daniel erst mal nicht, was er machen sollte. Nachdem wir aufgehört hatten zu spielen, fragte Robert Daniel aus heiterem Himmel: "Weißt du, was Pentatonik ist?" Die Antwort bekam ich nicht mit, sie ging vermutlich in Richtung "So ungefähr", jedenfalls erwiderte Robert darauf kurzerhand: "Dann zeig ich dir jetzt mal, wie man ein Solo auf A spielt." Der folgenden Einweisung schaute ich ausgesprochen fasziniert zu, allerdings bin ich mit meinen bescheidenen Gitarrenfähigkeiten noch weit davon entfernt, irgend etwas davon umsetzen zu können. 

Und was war jetzt mit dem Honig? – Das war so: Da Inga ja so freundlich war, uns an dem betreffenden Wochenende bei sich zu Hause einzuquartieren und zu verpflegen, hatten Robert, Bernd, Daniel und ich im Vorfeld untereinander beraten, was wir ihr denn als kleines symbolisches Gastgeschenk mitbringen könnten. Schließlich hatte Bernd die Idee, da es uns alle nach unserer gemeinsamen Schulzeit doch in recht unterschiedliche Winkel der Republik verschlagen hatte, könnte doch jeder von uns ein Glas Honig aus regionaler Herstellung mitbringen. Die Idee traf auf allgemeine Zustimmung. 

Und ich fand auch genau das richtige Produkt für diesen Zweck.

Hier einmal das gesamte Honig-Ensemble auf einem Blick.

Da im Stadium der Ideenfindung aber auch – wohl eher scherzhaft – von der Option die Rede gewesen war, "etwas Selbstgehäkeltes" mitzubringen, hatte Daniel in Aussicht gestellt, zusätzlich zum Honig auch einen "selbstgehäkelten Whisky" mitzubringen. Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob das ein Scherz sein sollte. Es war aber keiner. 

Alles in allem eine bemerkenswerte Kombination von Talenten, die an diesem Wochenende zusammenkam; da wäre es ja eigentlich geradezu Verschwendung, sich zukünftig nicht öfter zu treffen...! – Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist und gern noch mehr Döntjes aus der Bandgeschichte lesen möchte, dem seien die folgenden Artikel empfohlen: 

"Walk the Line"

"Ansichten aus Wolkenkuckucksheim 46" (Rubrik "Ohrwurm der Woche"

"Creative Minority Report Nr. 1" (Rubrik "Ohrwurm der Woche") 

 und vor allem aber: 

"Vielleicht hätten wir einfach Rockstars werden sollen"

Im Übrigen geht's hier übermorgen weiter mit "Utopie und Alltag 2"...